Geschlagen, gestreichelt, gerieben

In Schwingung versetzt: Urschall & Klangstrom – Gongkonzert mit Peter Heeren in der Petersdorfer Kirche

„Ist das schon der Gong“? Ein kleines, blondes Mädchen macht in der Kirche in Petersdorf seine Eltern kurz vor 20:00 Uhr auf regelmäßige wohlklingende Geräusche aufmerksam. Ein Kirchenmitarbeiter, der in der Nähe steht, lächelt und erklärt „Nein, das ist die Glocke auf dem Kirchturm, die vor Konzerten und Andachten geläutet wird“. An diesem Abend versammelten sich in der Kirche St. Johannis eine dreistellige Anzahl von Zuhörern, die größtenteils nicht genau wussten, was genau sie am 7. Konzertabend von „Kultur Erlebnis Kirche“ erwarten würde. Was erwartet man von einem Konzert mit dem Namen „Urschall & Klangstrom“?
Als die Glocke verstummte und die Lichter ausgingen, kam die vor dem Altar aufgebaute illuminierte Ständer-Konstruktion mit ihren insgesamt 5 verschieden Gongs erst richtig zur Geltung. War es ein einzelnes Instrument, das aus mehreren Gongs besteht? Oder waren es verschiedene Instrumente auf einem gemeinsamen Ständer?
Im Zentrum hing, wie ein gewaltiges Sonnenrad, eine gewaltige Scheibe, die metallisch glänzte. Außen dunkler Rand, fast wie ein Rad, ein Reifen, darin eine leuchtend helle polierte schmale Linie, die eine messingfarbene polierte Fläche einschließt, im Zentrum dann eine glatte, mattgoldene Fläche.
Peter Heeren ist von einem Moment auf den anderen da. Präsent. Schwarz bekleidet mit goldenen Buchstaben auf dem Rücken. Ein markantes Gesicht, eine Brille, die die Konzentration, mit der Heeren an die Musik herangeht, noch betont, und einer fast tänzerischen Beweglichkeit.
Er stellt kurz seine Gongs vor. Man hat das Gefühl, er spricht über Ensemble-Mitglieder oder gar Freunde. Dann geht es los. Kein Schlag, kein Geräusch, das man bei einem Gong erwarten würde. Die große Metallscheibe wird von ihm mit speziellen Schlägern scheinbar gestreichelt, gerieben, in Schwingungen versetzt. Es scheint so zu sein, dass er mit dem Gong ein Gespräch führt. Und tatsächlich kommt die Antwort des Instrumentes manchmal lauter zurück, als Heerens Frage.
Das größte Instrument spielt die tiefsten Töne? Stimmt nicht. Stimmt heute nicht. Dieser Gong kann singen, dieser Gong kann pfeifen. Dieser Gong kann langgezogene Akkorde. Melodien? Ideen? Energien? Die Vibrationen greifen auf den gesamten Raum über. Teilweise kniet der Künstler vor seinen Gongs. Teilweise scheint er zu tanzen. Dann wiederum steht er davor, legt den Kopf schräg, als ob er abwarten würde, was seine Instrumente ihm als nächstes für sphärische Motive vorspielen wollen.

Auf drei Spezialtischen liegen jeweils eine große Anzahl verschiedener Hilfsmittel, mit denen die Gongs gespielt werden können. Es wird gerieben, geschlagen, wieder gestreichelt. Es herrscht eine meditative Stimmung. Atemlose Stille im Publikum, das, sobald es scheint, dass ein Musikstück zu Ende ist, nahezu danach giert, zu applaudieren. Aber der Künstler ist noch nicht fertig. Immer mehr Instrumente werden einbezogen. Er spielt auf seinen fünf Instrumenten gleichzeitig. Er spielt im Raum, mit dem Raum, und er spielt mit der Zeit. Die Schwingungen, Klänge, Ströme, der Urschall scheint Einfluss auf das Zeitempfinden der Zuhörer zu haben. Am Ende ertönen die Goethe – Worte „Die Sonne tönt nach alter Weise, In Brudersphären Wettgesang, und ihre vorgeschriebne Reise, Vollendet sie mit Donnergang.“ aus „Faust. Der Tragödie erster Teil“, dem „Prolog im Himmel“. Es sind die Worte, die Goethe den Erzengel Rafael sagen lässt. Auch hier wieder überrascht der Künstler dadurch, dass er Sprache in seine Performance einbindet. Worte, die wirken, als seien sie ausschließlich und perfekt für dieses Musikstück Urschall & Klangstrom geschrieben worden, hätten seit 1808 lediglich darauf gewartet, in diesem Rahmen vorgetragen zu werden.
Zum Ende herrscht Stille. Der große Gong wird sorgfältig gedämpft. Seine Schwingungen werden weniger, er kommt zur Ruhe. Die Energie bleibt im Raum. Über 100 Menschen haben es erlebt. Das Ereignis. Oder haben über 100 Menschen jeder für sich jeweils ihr ganz persönliches Erlebnis gehabt?
In einem eigens umgebauten Anhänger verlässt Kirchenmusiker Peter Heeren am Folgetag die Insel Fehmarn. Er wird schon in wenigen Tagen wieder zu hören sein. Derselbe Titel, und wieder die Gelegenheit, sich mit allen seinen Sinnen auf etwas einzulassen, was nachschwingen wird.

Eckhard Kretschmer

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